Rotkopf-Görg-Sage
Im Schloßgarten Spielmann, vom Gnomen geführt, Darstellung der Windbergsage von Rotkopf Görge, der den Berggeistern zum Tanz aufspielte. Wie er es sonst gewöhnt war, hielt er am Ende des Tanzes seinen Hut zum Epfang einer Gabe hin. Einer der Gnomen warf ihm eine Schafel glühender Kohlen hinein. Entsetzt warf sie der Spielmann weg, fand aber am anderen Tage daß sich ein hängengebliebenes Stück in Gold verwandelt hatte. Er fand den Eingang in den Berg nicht mehr.[1]
Inhaltsverzeichnis
Berichte
Mit dem angeblichen oberirdischen Schlosse [auf dem Windberg ] darf ein anderes nicht verwechselt werden, dasa den Gegenstand einer anziehenden Sage bildet; wir meinen das tief im Berge verborgene Zauberschloß, dessen Herrlichkeiten zu schauen noch im vorigen Jahrhunderte einem Burgker Einwohner beschieden gewesen sein soll. Hier ist das Märchen, wie es Becker erzählt:
Das Zauberschloß
In Burgk am Windberge wohnte vor Jahren ein alter Dorfmusikant, der in der ganzen gegend beliebt war, denn alle Mädchen und Burschen behaupteten, daß sich's nach seiner Geige am besten tanze. Die Beine hoben sich wie von selbst, und auch die ungeschicktesten Tänzer mußten Takt halten, sie mochten wollen oder nicht. Dies lag nun einmal so in seiner Geige. Rothkopfs Görge, so hießt der lustige Fiedler, war also in allen Schenken willkommen und wurde zu allen Kirmsen und Hochzeitsfesten bestellt. Eines Sonntags, als er den Bauen von Deuben zum Tanze aufgespielt hatte und in der Mitternachtsstunde einsam nach Hause ging, überrechnete er den Ertrag seiner Geige und dachte dann an den künftigen Sonntag, zu welchem er wieder bestellt war. So verging ihm die Zeit und unvermerkt kam er zum Windberge. Da fiel ihm auf einmal das Zauberschloß ein, von dem er in seiner Jugend so vieles gehört hatte. Du bist doch nun, sprach er bei sich selbst, schon manches liebes Jahr und zu jeder Stunde der Nacht da vorübergegangen und hast noch niemals etwas von diesem Zauberschlosse gespürt: wer weiß, ob es wahr ist. Mir sollte Niemand erscheinen und mir gebieten, zu folgen: ich faßte mir wirklich ein Herz und füllte mir meine Taschen mit Gold. Ja, wer nur den Eingang in's Zauberschloß wüsste! Den will ich dir zeigen, erwiederte ihm ein Mann, den er niemals gesehen und der ihm gerade jetzt in den Weg trat. Der Arme Görge erschrak so gewaltig darüber, daß er nicht einmal zurückzutreten vermochte, und so freundlich auch immer die Antwort des Unbekannten erklang, so sah es doch um das Herz, was er sich vorhin zu fassen getraute, gar jämmerlich aus. Komm, folge mir getrost, versetzte der Berggeist, du wirst im Schlosse von einer hohen Gesellschaft erwartet, ihr zum Tanze zu spielen, sie wird dich gnüglich bezahlen, daß du dein Leben lang hast, was du brauchst: aber hüte dich ja, im Schlosse zu reden und fordere ja nicht, wenn man dich fragt, was du für deine Musik begehrst. Rothkopf's Görge war ganz versteinert vor Schrecken. Der Berggeist ging vor ihm her und winkte ihm, zu kommen und Görge folgte ihm, ohne es zu wollen. Was hülfe es dir auch, wenn du fliehest, vermorchte er doch noch bei sich zu denken, er würde dich bald ergreifen und dir wohl gar das Genick brechen. Mit Inbrunst stammelte er das stets bewährte: Alle gute Geister, was schon so Manchem in gleichen Aengsten geholfen und wankte zitternd hinter ihm drein. Durch einige schaurige Wege, die Rothkopfs Görgen, so gut er auch am Windberge Bescheid wußte, gänzlich unbekannt waren und die er sich auch niemals wieder zu finden getraute, gelangten sie endlich an ein großes leuchtendes Thor, das sich plötzlich, sobald sie in den geräumigen Vorhof getreten waren, von selbst wieder schloß. Der Musikus glaubte, er würde aus diesem bezauberten Schlosse wohl nun nie wieder kommen; denn wenn der Ton seiner Geige dem Beiggeiste spiele, so könne es demselben leicht in den Sinn kommen, ihn gar zum Hofmusikanten zu machen. Zwischen Furcht und Erstaunen getheilt, durchging er den mit Fackeln erleuchteten Vorhof und erblickte dann mehrere prächtige hohe Gebäude und Thürme, die kaum, nach seinem Augenmaße zu schließen, im Windberge Platz haben konnten und alles war hell und erleuchtet, wie mitten am Tage. Ein Führer ging stets vor ihm hin und brachte ihn durch das Hauptgebäude in einen großen, mit vielen tausend Kerzen erleuchteten Saal, wo eine große gesellschaft von Herren und Damen, in schwarzer altdeutscher Tracht und mit köstlichen Perlen und Edelgestein geschmückt, ihn augenblicklich umringte und von oben bis unten mit scharfen Augen betrachtete. Ihm pochte das Herz gewaltig; sein Führer aber winkte ihm freundlich und führte ihn durch den versammelten Kreis zu einem Kamin mit dem deutenden Winke sich nun auf der Geige hören zu lassen. Auch hier umgaben ihn, während er stimmte, die Herren und Damen und endlich erhielt er das zeichen zum Anfang. Es begann eine Art von Tanz, dergleichen er weder in Burgk, noch in Deuben, noch auf den Dörfern umher jemals gesehen hatte. Das sonderbarste von allem war aber, daß er dazu mit der größten Fertigkeit eine Musik spielte, die er in seinem Leben noch niemals gehört hatte, und von der er auch nachher nie wieder einen Ton hervorbringen konnte. Als sich die Gesellschaft ohngefähr eine Stunde, nach seinem Bedünken, mit dem Tanze belustigt hatte, kam jedes Paar mit ernsthaften Schritten und schweigend auf ihn zu und nun betrachteten sie ihn mit Blicken, vor welchen seine Augen zu Boden sanken. Endlich trat einer der Herren aus dem Kreise hervor und sagte: Was forderst du für eine Belohnung? Bei allem Angstschweiß gedachte doch Görge der Ermahnung des Führers: er zog seinen zwischen die Knie geklemmten Hut hervor, hielt ihn mit demüthiger Geberde offen vor sich hin und gab durch eine Bewegung zu erkennen, als sei er mit allem zufrieden. Da ergriff der nämliche Herr eine Kohlenschaufel, fuhr damit in den Haufen der im Kamin glühenden Kohlen und schüttete sie Görgen in den Hut. Dieser entsetzte sich darüber nicht wenig; allein in demselben Augenblicke trat der bekannte Führer herbei und winkte ihm freundlich, er solle ihm folgen. Görge gehorchte sogleich, voll banger Erwartung, was weiter erfolgen werde und sah sich in Kurzem zu eben dem Thore zurück begleitet, durch welches der freundliche Mann ihn eingeführt hatte. In diesem Augenblicke war auch der Führer und mit ihm die ganze Erscheinung verschwunden; Rothkopfs Görge aber befand sich, von der finsteren Nacht umhüllt, auf dem nämlichen Platze, wo ihm der Geist in den Weg getreten war. Nachdem er sich von seiner betäubenden Angst wieder ein wenig erholt hatte, verfolgte er den wohlbekannten Heimweg mit eiligen Schritten und dachte der wundbaren Begebenheit nach. Er ärgerte sich im Geheimen nicht wenig über die höllische Belohnung, die er in seinem Hute vor sich hintrug und hätte die Kohlen gern auf die Seite geworfen, wenn er nicht die vermeinten bösen Geister, die im Windberge hausten, wider sich aufzubringen befürchtet hätte. Es war ihm ohnedies nicht wohl dabei zu Muthe, daß der Hut immer schwerer wurde; die Last nahm mit jedem Schritte zu und kaum vermochte er, sie mehr zu tragen; allein die Furcht gab ihm Kräfte und so schleppte er sie geduldig mit sich fort. Kaum aber hatte er seine Wohnung erreicht und die Haustühre aufgeschlossen, so schüttete er die schweren Kohlen nebst dem, was sie sonst noch erschwert haben mochte, mit einem Male auf die Seite und warf die Thüre geschwind hinter sich zu. Er kroch so eilig als möglich in sein Bette, zog die Decke über den Kopf weg und drückte noch unter derselben die Augen so fest zu, als er konnte, allein die Bilder des Zauberschlosses schwebten ihm noch immer vor Augen, bis endlich die Müdigkeit der Geschäftigkeit seiner Einbildungskraft Einhalt that und der ganze Görge mit Leib und Seele in einen tiefen Schlaf versank. Als er am Morgen erwachte, stand der ganze Zauber mit aller Lebhaftigkeit wieder vor ihm da. Er sprang sogleich aus dem bette, um seinen Hut zu besehen, der seiner Meinung nach gänzlich verbrannt sein mußte; aber zu seinem größten Erstaunen fand er den Hut unversehrt. Indem er ihn so verwundert von allen Seiten herumdrehte, fiel aus einer kleinen Öffnung im Futter ein Goldstück heraus, dergleichen er noch nie eines in Händen gehabt hatte. Auf einmal enträthselte sich ihm nun die Belohnung mit den glühenden Kohlen, so wie die sich immer vermehrende Schwere derselben. Mit großer Begierde sprang er vor's Haus, nach den ausgeschütteten Kohlen zu sehen; allein statt der gehofften Goldstücke fand er nichts als ein Häufchen todter Steinkohlen. Er raffte sie alle emsig zusammen und trug sie hinein auf den Tisch; aber sie wollten weder erglühen noch in Gold sich verwandeln. Er that sie wieder in den Hut, doch auch dieser Versuch lief fruchtlos ab. Da stand nun Rothkops Görge und kratzte sich hinter den Ohren, daß er sein GLück so verscherzt hatte. Das in dem Hute gefundene Goldstück machte ihn ärmer als er gewesen war, weil es ihn beständig seinen Verlust erinnerte. Da er aber als lustiger Spielmann von Natur keinen Hang zur Schwermuth besaß, so ergab er sich endlich darein; und nach einigen Jahren schien er sogar froh darüber, daß er nicht zum reichen Manne geworden war: denn, sprach er zuweilen schon das eine Goldstück hat mir Unmuth und Sorgen genug gemacht, wie sehr würde mich nicht erst ein ganzer Hut voll solcher Goldstücke gepeinigt haben![2]
Orginaltext der Rotkopf-Görg-Sage
Der Wind strich gewaltig durch die Bäume die den westlichen Fuß des Windbergs im Plauen'schen Grund umsäumten und es raschelte gar herbstlich in den dürren Blättern, die des Novembers eisige Gewalt dem Walde abgestreift hatte. Der einsame Wanderer, welcher in dieser finsteren, ungastlichen Nacht den Windberg auf der Seite nach Deuben zu emporklimmte, fror auch sehr und hüllte sich tiefer in einen alten Mantel, unter welchem die sonderbare Gestalt auch noch eine wurmstichige Fiedel verbarg. Ein schlechter Filzhut deckte den breiten Kopf und dessen verworrene rothgraue Haare und an den Beinen schlotterten ein Paar schmutzige Strümpfe, welche in kurzen Kniehosen steckten. Die ganze äußere Erscheinung machte den Eindruck völligen Herabgekommenseins und würde am Tage inniges Mitleid in fühlenden Menschenherzen erweckt haben, wenn das Gesicht des Mannes nur ein wenig dazu harmoniert hätte.
Aus diesem Antlitz war jedoch nichts von Kummer und Besorgnis zu erblicken; die Augen blitzten fröhlich und fast etwas übermüthig in die Welt hinaus und sprachen von Lebensfreude und Frohsinn trotz der rothgrauen Haare, die den behäbigen Kopf umrahmten. Der alte Fiedler - denn das war er und das Dorf Burgk auf der Lehne des Windbergs nannte er seine Heimath - war in der ganzen Gegend wegen seiner künstlerischen Bravour und seiner immer heiteren Laune wohlbekannt und bei Alt und Jung wohlgelitten. Ein Caonservatorium oder sonst eine höhere oder niedere Musikschule hatte er zwar nicht besucht, aber die Burschen und Mädchen im Grunde behaupteten doch, Niemand könne schöner zum Tanze aufspielen als Rothkopf's Jürge, wie man ihn wegen seiner früher brandroth gewesenen Haare allgemein benannte. Nach Jürges Geige, erklärten die erfahrensten Tänzerinnen, tanze sich es am Besten; die Beine höben sich wie von selbst und auch die ungeschicktesten Tänzer müssten Tact halten, sie möchten wollen oder nicht. Dies lag nun einmal in des Rothkopfs Zaubergeige. Der lustige Fiedler war in allen Schänken des Grundes willkommen und wurde zu allen Kirmeßen und Hochzeiten bestellt. Das wußte man schon gar nicht anders und es ging nicht fort, wenn der allezeit gut aufgelegte Jürge zum Tanz fehlte.
Jürge war sich dieses Umstandes auch recht wohl bewußt und besaß Künstlerstolz gerade genug, um diese Sympathie für ganz natürlich zu finden. Auf seine Aeußerlichkeit hielt er eben nichts, wie so viele andere große Künstler, die den edlen Wein ihres Talents in schmutzigen Gefässen darzubieten pflegen und sich immer selbst genug zu sein einbilden. Der Fiedler von Burgk hatte nur den einen Ehrgeiz: sich selbst und seinem Publikum zu gefallen; daß er nebenbei auf gut und viel Essen und Trinken hielt, kann bei seiner total künstlermäßigen Anlage nicht besonders auffallen.
"Ich bin eigentlich ein rechter Narr", philosophirte er im Gehen ziemlich laut vor sich hin, wie er zu thun liebte, wenn er des "süßen Weines voll" war, "daß ich den Pfahlbauern da unten für so wenig Geld so viel Vergnügen mache. Gäbe es mir nicht selber einen rechtschaffenen Spaß, ich würde ihnen heute Abend den "lustigen Musikanten" unter keinen Umständen dreimal auf Verlangen gesungen, gespielt und getanzt haben. Aber es macht sich doch hübsch, das Ding!"
Und von der Erinnerung hingerissen, sang er lustig in die Novembernacht hinaus:
- "Ein Musikant, das ist ein Mensch,
- Will essen und will schlucken
- Besonders wenn der Abend kommt,
- Das sind so seine Mucken.
- Sieht er die vollen Gläser stehn,
- So nimmt er seine Geigen,
- Und läßt dabei, empfindsam, schön,
- 'Ne freud'ge Weise streichen."
Darnach pfiff er mit dem Munde eine rechte Schelmenmelodie und hob die alten Beine wie im Ballett dazu. Das ging nun so eine gute Weile, bis ein plötzliches Stolpern über eine Baumwurzel dem Spaße ein jähes Ende bereitete. Rothkopf's Jürge lag ausgestreckt im Grase und die Geige, welche er unter dem Arme trug, hatte einen sehr hörbaren, verdächtigen Klagelaut ausgestoßen.
Jürge richtete sich verdutzt auf und betastete zunächst sein Heiligthum, seine geliebte Geige. Er glaubte sich überzeugt halten zu können, daß dem Instrument nichts Ernsthaftes widerfahren sei und zeigte sich darüber sehr befriedigt.
"Hm, hm! Fatale Geschichte!" brummte er vor sich hin und schob die Geige sorgsam unter ihr Versteck, indeß er den alten Lappen bedachtsam wieder umwickelte, der ihre Futteral vorstellte. Dann erhob er sich mühselig und sagte lachend: "Wenn meine Brodwinsel einen Leck gekriegt hätte, wäre mir der Ersatz auch nicht leicht gewesen. Sechs Groschen habe ich heute verdient und soll damit bis zum nächsten Sonntag vegetiren, wo ich zum Valentin Lange bestellt bin, der seinen Aeltesten an die dumme, reiche Kätze von Schulzen Meyer koppeln läßt. Vergiss es nur nicht, alter leichtsinniger Strolch!"
Diese keineswegs höfliche Mahnung war an seine eigene Adresse gerichtet und etwas stark ernüchtert tappte Jürge seinen Weg weiter, in Gedanken noch redend, wie er die verdienten sechs Groschen auf die nachfolgenden sieben Wochentage am zweckmäßigsten vertheilen könne.
Die Glocke am Kirchthurme zu Döhlen im Grunde schlug die zwölfte Stunde aus. Der Wind trug den Schall recht deutlich an das Ohr des nächtlichen Wanderers.
"Die Geisterstunde!" murmelte dieser und blieb wieder stehen. "Bei dem Worte Geister fllt mir auf einmal das Zauberschloß ein, von welchem ich in meiner grauen Vorzeit schon so viel gehört habe. Hier im Innern des Windbergs soll es stehen, wie auch auf dem Gipfel des Berges sich auch dereins ein Schloß befunden haben soll. Narrenspossen, nichts weiter!" sagte er lachend; "den baumeister möchte ich kennen lernen, der das fertig brächte, im Innern eines Berges etwas Gescheidtes zu bauen."
Der Geiger humpelte weiter und sprach dabei zu seiner eigenen Belehrung nach Art der "Angesäuselten" zu sich selber: "Jürge du bist doch sonst ein gescheiter Kerl und hast das Herz auf dem rechten Flecke, aber von dem Zauberschloss spürest du noch nichts, so oft du auch am Windberge zu jeder Stunde der Nacht vorübergegeangen bist. S'ist eitel Trug und Wind - Wind, wie dieser da, der es mir so gut meint!"
Dabei streckte er die Hand nach dem Norden aus, von woher der Novemberwind frostig herüberstrich. Dann fuhr er in seinem Monologe fort:
"Mir wollte Niemand erschienen und mir gebieten, ihm zu folgen, ich faste mir wirklich ein Herz und füllte mir meine Tasche mit Gold. Ja, Jürge, wenn du nur den Eingang in's Zauberschloß wüßtest!"
"Den will ich dir zeigen, lieber Mann!" erwiderte ihm eine kleine räthselhafte Gestalt, die er plötzlich vor sich sah, und die ihm nun gerade in den Weg trat.
Mit der eingebildeten Courage des Fiedlers war es nichts; der arme Jürge erschrak so gewaltig über den fremden Mann, da0 er nicht einmal zurückzutreten vermochte, und so freundlich auch immerhin die Antwort des Unbekannten erklang, so sah es doch uzm das Herz, was er sich vorhin zu fassen getraute, gar jämmerlich aus. Jürge's Zähne klapperten im Sechs-Achtel-Tact.
"Komm, folge mir getrost", versetzte der Berggeist, "Du wirst im Schlosse von einer hohen Gesellschaft erwartet, um ihr zum Tanze zu spielen, sie wird Dich gut bezahlen, so daß Du Dein Lebenlang haben wirst, was du brauchst. Hüte dich aber ja, im Schlosse zu reden und fordere ja nicht, wenn man dich fragt, was Du für Deine Musik begehrst. Nimm unbesehen was man dir giebt, - und wohl bekomm Dir's, Jürge!"
Der Rothkopf war ganz versteinert vor Schrecken.
Endlich fand seine angeborene Keckheit wieder Worte: "Wohlbekommen? Das wird es schon, wenn ich nur erst etwas hätte!" platzte es heraus. "Aber, hochgeborener Herr Geist," setzte er zögernd hinzu, "für meinen hals ist doch nichts zu riskieren? Man sagt, die geister hätten manchmal so heimtückische Manieren mit dem Halsumdrehen und dergleichen. Ich muß gestrehen, ich bin am Halse etwas kitzlich und überhaupt ein närrischer Kerl in der Art: verdreht bin ich manchmal, aber abgedreht möchte ich doch noch nicht werden."
"Sei unbesorgt, es soll Dir nichts geschehen!" versicherte der berggeist und schritt vor ihm her, ihm zu folgen winkend.
Jürge gehorchte, ohne es eigentlich zu wollen. "Was würde es Dir auch helfen, wenn du jetzt fliehen wolltest," vermochte er doch bei sich zu denken, "er würde Dich bald ergreifen und Dir wohl gar auf der Stelle das genick brechen."
Mit Inbrunst stammelte er das stets so bewährte Sprüchlein: "Alle guten Geister loben ihren Meister!", was schon so Manchem in gleichen Aengsten geholfen hat, und wankte zitternd hinter dem Berggeist drein.
Durch einige schaurige Wege, die Jürgen, so gut er auch am Windberge Bescheid wußte, doch gänzlich unbekannt waren, und die er sich auch niemals wiederzufinden getraute, gelangten sie endlich an ein großes leuchtendes Thor, das sich plötzlich sobald sie in den geräumigen Vorhof getreten waren, von selber wieder schloß.
Der arme Musikant glaubte beinahe, er werde aus diesem bezauberten Schlosse wohl niemals wieder herauskommen, denn wenn seine Kunst den Herrren Burggeistern gefiele, so könne es denselben leicht in den Sinn kommen, ihn gar zum Hofmusikanten zu machen und ganz im Bauche der Erde zu behalten. Vor diesem Bauche hatte er stets einen unsinnigen REespect gehabt.
Zwischen Furcht und Erstaunen getheilt, durchging er den mit Fackeln erleuchteten Vorhof und erblickte dann mehrere prächtige und hohe Gebäude und Thürme, die nach seinem Augenmaße beurtheilt wohl kaum im Windberge Platz haben konnten. Alles war hell und prächtig erleuchtet, wie am Tage.
Sein Führer ging stets vor ihm her und brachte ihn durch das Hauptgebäude in einen großen von vielen tausend Kerzen belichteten Saal, wo eine zahlreiche gesellschaft von Herren und Damen in schwarzer altdeutscher Tracht und mit kästlichen Perlen und Edelsteinen geschmückt, ihn augenblicklich umringte und von oben bis unten mit großen Augen betrachtete.
Jürge verneigte sich nach allen Seiten auf echte Künstlerart, wenn ihm auch das Herz gewaltig gegen die Rippen pochte; er fühlte wohl, daß sein Anzug in diesem Kreise nicht für salonfähig angesehen würde, was ihn einigermaßen beengte und suchte die sichtbarsten Blößen seines Wammses mit dem vorgehalteten Schlapphute zu bedecken. "Die müssen lange keinen ordentlichen Menschen gesehen haben", dachte er.
Der Führer winkte ihm sehr freundlich zum Nähertreten und führte ihn durch den versammelten Kreis der Geister zu einem Kamion mit dem nicht mißzuverstehnden Winke, sich nun auf der Geige hören zu lassen.
Auch hier umgaben ihn, während er ängstlich und gewissenhaft stimmte, die gespenstigen Herren und Damen, und endlich erhielt er das Zeichen zum Anfang. Was aber sollte er spielen? Er wußte es noch immer kaum, denn er kannte ja die Tänze der Herren Burggeister nicht. Er fing endlich auf gut Glück - den Großvaterreigen zu spielen an.
Es begann nunmehr eine Art Tanz, desgleichen er weder in Burgk, noch in Döhlen oder Deuben, noch auf den anderen Dörfern rings umher jemals gesehen hatte. Das Sonderbarste von Allem war aber, daß er dazu mit der größten Fertigkeit eine Musik spielte, die er in seinem Leben selbst noch niemals gehört hatte und von der er auch nachher nie wieder einen Ton hervorbringen konnte. Er ließ sich gehörig auf der Geige gehen und phantasierte nach Künstlerbrauch derart von Einem ins Andere, daß er nicht mehr wußte, wo aus noch ein, und ihm der Schweiß in großen Tropfen von der Stirne rann.
Der Saal bevölerte sich während des Tanzes mit unheimlichen gestalten in den abenteuerlichsten Formen. Drachen und Geier, Affen und Katzen nahmen am gesprenstigen Reigen Theil; sie uzmschwirrten den geiger und suchten ihn irre zu machen.
Jürge stand wie eine Mauer, wenn ihm auch die Augen fast aus den Höhlen traten über das niegesehene Schauspiel.
Sein Führer, welcher nicht aus seiner Nähe gewichen war, raunte ihm zu: "Spiele fort, und wenn die Hölle ihre ganzen Spukgestalten schickte, - und fordere nichts für Dein Spiel, Du müßtest es theuer bezahlen!"
Jürge spielte fort, spielte mit Aufbietung seiner ganzen Kraft wohl eine Stunde lang. Endlich ermatteten die Burggeister im Tanze und es trat eine schreckliche Stille ein. Alles um ihn herum stand unbeweglich und Jürge fühlte, daß nunmehr die Versuchung an ihn herankommen würde.
Jedes Paar kam mit ernsthaften Schritten und schweigend auf den Fiedler zu und nun betrachteten sie ihn mit Blicken vor welchen seine Augen zu Boden sanken. Endlich trat einer der Herren aus dem Kreise hervor und fragte: "Was forderst Du für eine Belohnung? Was sind wir Dir für Deine Dienste schuldig?"
Bei allem Angstscheiß gedachte doch Jürge der Ermahnung des Führers: er zog seinen zwischen die Knie geklemmten Hut hervor, hielt ihn mit demüthiger Geberde offen vor sich hin und gab durch eine Bewegung zu erkennen, er sei mit Allem zufrieden. Im Innern aber sprach er zu sich selbst: "Ich fordere nichts, ich weiß schon warum, hi hi! Ich bin ein närrischer Kerl in der Art!"
"Du forderst nichts? Nun denn, so begnüge Dich mit dem, was man Dir giebt!" versetzte der Geist und ergriff eine Kohlenschaufel. Mit dieser fuhr er in den Haufen der im Kamine glühenden Kohlen und schüttete eine tüchtige Portion derselben Jürgen in den Hut.
"Was? lumpige Kohlen und glühend? - Und die soll ich nach hause tragen? - O Undank!" dachte der entsetzte Fiedler, hütete sich aber wohl, die Kohlen wegzuschütten.
In demselben Augenblicke trat der bekannte Führer wieder herbei und winkte ihm freundlich, daß er ihm folgen solle. Jürgen gehorchte sogleich von banger Erwartung, was weiter folgen werde, konnte sich aber doch nicht enthalten, noch einmal umzublicken.
Da erscholl ein mächtiger Glockenschlag: "Eins!" Die Geister des Berges sanken plötzlich nieder, der Führer aber verwandelte sich in einen herrlichen Cherub, der die Palme des Friedens über die Häupter der Herren und Damen schwang.
"Erlöst, erlöst!" riefen diese und fielen in Asche zusammen.
"Der Bann ist gebrochen!" sprach der Cherub feierlich. "Es kam nunmehr ein geiger in den Berg, der Euch zum Tanze aufspielte und nichts dafür begehrte. Seit hundert Jahren habt Ihr das ersehnt, nun gehen ein zur ewigen Ruhe, Gott zürnt nicht ewig!"
Jürge wußte nicht, wie er hinauskommen sollte, als eine volle Stimme ihm befahlt: "Entferne Dich!"
Er lief in blinder Angst zur ersten besten Thüre hinaus und fand auch unbewußt das Eingangsthor, durch welches er eingeführt worden war. Als er es erreicht hatte, war das Thor, der Palast und die ganze Erscheinung verschwunden. Rothkopf's Jürge befand sich, von der finstersten Nacht umhüllt, auf dem nämlichen Platze, wo ihm der Geist zuerst in den Berg getreten war.
Er rieb sich die Augen, wie aus einem schweren Traume erwachend,; nüchtern war er geworden, dafür glaubte er bürgen zu können. Nachdem er sich von seiner betäubenden Angst wieder ein wenig erholt hatte, verfolgte er den wohlbekannten Heimweg mit eiligen Schritten und dachte der wunderbaren Begebenheit nach. Er ärgerte sich im Geheimen über die höllische Belohnung, die er in seinem Hute noch immer vor sich hintrug; gern hätte er die Kohlen auf die Seite geworfen, wenn er nicht die vermeinten bösen Geister, die im Windberge hausten, wider sich aufzubringen befürchtete. Es war ihm ohnedies nicht wohl dabei zu Muthe, daß der Hut immer schwerer wurde; die Last nahm mit jedem Schritte zu und kaum vermochte er sie mehr zu tragen. Allein die Furcht verlieh ihm die Kräfte und so schleppte er die Kohlen geduldig mit fort.
Kaum aber hatte der Fiedler seine Wohnung erreicht und die Hausthür aufgeschlossen, so schüttete er die schweren Kohlen nebst dem, was sie sonst noch erschwert haben mochte, mit einem Male auf die Seite und warf die Thüre hinter sich zu. Er kroch so eilig als möglich in sein Bette, zog die Decke über den Kopf und drückte unter derselben die Augen so fest zu, als er nur konnte. Trotzdem schwebten ihm die Bilder des Zauberschlosses noch immer vor den Augen, bis endlich die Müdigkeit dem Schaffensdrange seiner Einbildungskraft Einhalt that und der ganze Jürge mit Leib und Seele in einen tiefel Schlaf versank.
Als er am Morgen erwachte, stand der ganze Zauberspuk wieder lebendig vor seinem Geiste. Er sprang sogleich aus dem bette um seinen Hut zu besehen, der seiner Meinung nach ganz verbrannt sein mußte, fand aber zu seinem größten Erstaunen den Hut unversehrt.
Indem er seinen Hauptschmuck verwundert von allen Seiten herumdrehte fiel aus einer kleinen Oeffnung im Futter ein Goldstück heraus, dergleichen er noch nei eins in Händen gehabt hatte.
Auf einmal enträthselte sich ihm nun die Belohnung mit dem glühenden Kohlen, sowie der Umstand, daß dieselben sich immer mehr erschwert hatten.
"O ich Esel!" war Alles, was er in diesem Augenblicke zu denken vermochte, dann sprang er mit großer Begierde vor das Haus, um nach den ausgeschütteten Kohle zu sehen, allein statt der gehofften Goldstücke fand er nichts als ein Häufchen todter Steinkohlen.
Eine Hoffnung erfaßte Jürgen: die Kohlen konnten sich doch noch in Gold zurückverwandeln! Er raffte sie alle emsig zusammen und trug sie auf einen Tisch, wo er jede einzelne Kohle umwandte und betrachtete.
Vergebenes Hoffen! Sie wollten weder erglühen, noch sich in Gold verwandeln. Er that die Kohlen wieder in den Hut, vielleicht daß diesem eine Zauberkraft bewahrt geblieben sei. Der schäbige Filz ließ ihn sitzen; er that seine Schuldigkeit nicht, die Kohlen blieben Kohlen und auch dieser letzte Versuch lief fruchtlos ab.
"Jürge, Jürge, Du bist ein großer Meister in der Kunst, aber sonst ein recht unpraktisches Möbel", rief Jürge erzürnt über sich selbst aus. "In dieser Affaire hast Du Dich als ein colossales Rhinoceros benommen, schäme dich, Jürge! Aber wer, zum Teufel," polterte er noch heftiger heraus, "konnte auch denken, daß die glühenden Kohlen eigentlich glühendes Gold waren. Und ich habe mir so viele Mühe beim Geistertanze gegeben! War das eine Todtenpolonaise, von der Angst componirt und von der Verzweiflung heruntergestrichen! Ich werde an das Zauberschloß gedenken."
Da stand nun Rothkopf's Jürge und kratzte sich hinter den Ohren, daß er sein Glück so verscherzt hatte. Das in dem Hute gefundene Goldstück machte ihn ärmer, als er früher gewesen war, weil es ihn beständig an seinen Verlust erinnerte. Da er aber als lustiger Spielmann von Natur keinen Hang zur Schwermuth besaß, so ergab er sich endlich darein und nach einigen Tagen schien er sogar froh, daß er nicht zum reichen manne geworden war. Als sorgloser, mittheilsamer Kunde, wie er war, hatte er sein Abendteuer am Windberge nicht zu verschweigen vermocht und plauderte bei einem Tanze in der "Rothen Schänke" zu Döhlen einigen Bekannten aus.
"Kinder," sprach er dann, als ihm seine Freunde ihr Beileid über den verlorenen Schatz aussprachen, "es ist besser so, wie es kam! Schon das eine Goldstück hat mir Unmuth und Sorge genug gemacht, wie sehr würde mich erst ein ganzer Hut voll solcher Goldstücke gepeinigt haben. Im Kopfe sitzt das Gold, wer's da nicht herauszuschlagen versteht, bleibt ein armer Tropf, trotz allen sonnigen Reichthums. Ein Künstler muß das Gelübde der Armuth treulich halten, denn die Muse will nicht in goldener Livrey bedient sein. Es lebe die Göttin Musika!"
Darauf ergriff er seine alte Fiedel, welche zum Glück bei der Geistererlösung heil und ganz geblieben war und mit dem Rothkopfe bis an sein seliges Ende in bester Kameradschaft lebte, und begleitete sich darauf selbst zu folgendem launigen Verse:
- "Es ist das Masikantenleb'n
- Das Bunteste von allen,
- Und hat, so lang ich denken kann,
- Am Besten mir gefallen.
- Geht's schlecht und fehlt das liebe Geld,
- So nimmt man seine Geigen,
- Und läßt dabei, empfindsam, schön,
- 'Ne lust'ge Weise streichen." - -
Der alte Fiedler von Burgk ist längst hinübergegangen und ganz bestimmt zur himmlichen Cantorei-Gesellschaft versetzt worden, aber sein ehernes Conterfei steht noch heute am Platze seiner früheren Wirksamkeit. Im Garten des Freiherrn von Burgk hat seine eherne, lebensgroße Statue Aufstellung gefunden, genau in der Positur, wie er den Geistern des Windberges zum Tanze gepsielt haben dürfte.
Der Schatz ruht schon längst nicht mehr im Innern des Windberges - man hat ihn gehoben und noch heute sind Hunderte von Bergleuten im Windberge geschäftig, die Schatzkammer der geister auszuräumen. Das Geschlecht der Freiherren von Burgk ist dazu berufen worden, die Kohlen aus dem unterirdischen Kamine zu gewinnen, welche sich unter seinen Händen in pures Gold verwandeln. So ist der Bann des Zauberschlosses im Windberge gelöst, mit Hülfe des Menschenfleißes und der Wissenschaft, und Tausende erfreuen sich des Segens der eroberten Schätze an "schwarzem Golde".
Der Herausgeber dieses Buches hat durch sein zu Ende der fünfziger Jahres geschriebenes und unzählige Male im Plaun'schen Grunde und dessen Umgebung aufgeführtes Volksstück: "Rothkopf's Jürge, der lustige Fiedler von Burgk" wohl am Meisten zur Popularisirung der obrigen Sage beigetragen und freut sich noch heute dieses Erfolges. Freilich mußte er aus Gründen des Theatereffects den geiger um ca. 30 Jahre verjüngen und demselben eine junge Braut auf den Leib schreiben. -
Der berühmte Windberg, auf welchem unsere Sage spielt, ist die bedeutendste Erhöhung des Plauen'schen Grundes, 351 Meter hoch, und lagert dem dort beginnenden östlichen Erzgebirge als mächtiger Bergrücken vor. Derselbe ist durch den Bergbau vollständig durchhöhlt und hat schon Millionen von Centnern des "schwarzen Goldes" hergeben müssen. Noch immer ist sein Inneres unerschöpflich. Bekanntlich sind die Steinkohlen des Plauen'schen Grundes weit jüngeren Ursprungs, als die des Zwickau-Oelsnitzer Beckens, da genannter Grund jünger als das Erzgebirge ist und erst mittelst Durchbruch des Porphyrs in Mitte der Steinkohleperiode entstand.
Leider hat der freundliche Windberg in neuerer Zeit durch ein großes Grubenunglück eine traurige Berühmtheit erhalten; am 2. August 1869 geschah in einer der Burgk'schen Kohlengruben in seinem Eingeweide das Entsetzliche, daß 274 fleißige Bergarbeiter durch schlagende Wetter getödet wurden. "Die Geister des Windberges haben sich wieder gerührt," sagten die Leute.
Rund um die Rotkopf-Görg-Sage
- Rotkopf-Görg-Denkmal auf Schloss Burgk
- Rotkopf-Görg-Brunnen auf dem Platz des Handwerks
- Rotkopf-Görg-Straße
Quellen
- ↑ Fritz Eckhardt: Führer durch Freital und den Plauenschen Grund. Verkehrsverein Plauenscher Grund, 1925
- ↑ Denkschrift des Vereins zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse im Plauenschen Grunde zur Feier seines 25jährigen Bestehens am 24. Februar 1869. [Digitale Sammlungen]
- ↑ Sächsische Volks-Sagen. Heft 10. Stolpen ca. 1880. Online verfügbar in den [http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/102347/347/0/ Digitalen Sammlungen der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek.